„Einst am Kreuz verhüllte sich der Gottheit Glanz […]“
Vielerorts existiert der Brauch, am Fünften Fastensonntag in den Kirchen die Kreuze zu verhüllen. Diese Tradition reicht bis ins Mittelalter zurück, das – mehr als unsere Zeit – Triumphkreuze als künstlerische Ausdrucksform kannte. Solche Kreuze zeichnen sich durch ihre wertvolle Gestaltung, etwa mit Edelsteinen oder Perlen, aus und verzichten dafür auf die Darstellung des leidenden Jesus. Vielmehr rückt das Kreuz dadurch als Ort des Triumphes in den Blickpunkt, als ein vom Glanz des Auferstandenen überwundenes Leidenswerkzeug.
Wenn nun am Fünften Fastensonntag („Passionssonntag“) diese Kreuze verhüllt wurden, sollte damit vorerst auch der Blick auf die glanzvolle Überwindung des Leidens und Todes zurücktreten. Umso sichtbarer steht Jesus in dieser Zeit als Leidender vor Augen. Der Blick gilt demnach in diesen Tagen bis zur Osternacht verstärkt auch den menschlichen Leiderfahrungen. Das Verhüllen der Triumphkreuze hilft dabei, sich sensibel den Leidenden auszusetzen und ihre Schicksale nicht vorschnell mit dem Licht der Auferstehung zu überblenden. Es geht um ein Wahrnehmen und Erspüren der Verwundungen ohne gleich davon zu reden, dass alles gut wird.
Somit kann sich speziell in diesen beiden Wochen vor dem Osterfest die Chance ergeben, sich unverhüllt auch den eigenen Verwundbarkeiten und Wunden auszusetzen, den wenig glanzvollen Seiten des Lebens. Wir tun dies im Angesicht des Gekreuzigten, der das Leid nicht kaschiert, sondern durch-lebt, bis es vom österlichen Licht erleuchtet wird.
Vitus Glira
Diözesanjugendseelsorger und Kurat der Pfarre Rohrbach