Jesus und Judas

Bei unserem ersten Besuch der Sveti Sava Kathedrale, der neuen riesigen orthodoxen Kirche von Belgrad vor etwa zehn Jahren, fiel uns im nördlichen Seitenschiff, damals schon einigermaßen fertiggestellt und als Gottesdienstraum eingerichtet, auf ihrem Verehrungspult die ausgestellte Ikone auf, die uns berührte und irgendwie auch irritierte. Wir deuteten sie damals als „Jesus, der gute Hirte“ – der an Stelle unseres vertrauten „verirrten Schafes“ einen zerknitterten Menschen auf seinen Schultern trägt.

Mein Mitbruder (mittlerweile der gewählte Abt) ließ sich später von der ikonenmalenden Gemeinschaft der Mutter Euphemia im Kloster Gradac dieses Motiv „nachschreiben“. Eigentlich erst im vergangen Jahr stieß ich auf den wahren Bedeutungssinn dieses von einem russischen Ikonenkünstler für die Belgrader Kathedrale geschaffenen Bildes:

Jesus trägt seinen (tragisch zu Tode gekommenen – gescheiterten) Freund Judas heim ins Haus des barmherzigen Vaters!

Die vielleicht rätselhafteste Gestalt der evangelischen Geschichte der zwölf Jünger ist dieser Judas bar Schimon (Sohn des Simon), Judas Isch kariot (der Mann aus Keriot); denkbar wäre auch die Ableitung seines Namens von den Sikkariern (Dolchleuten), wie die Zeloten eine Untergrundgruppe messianischer Aktivisten.

Er ist der einzige Nicht-Galliläer unter den Aposteln, er verwaltet die Gemeinschaftskasse der ganzen Gruppe. Die Auffassung, dass er dieses Amt betrügerisch wahrnimmt, stammt schon aus späterer negativ-christlicher Sicht (Joh 12,4). Unbestritten ist jedoch sein Verrat an Jesus: Er gibt der jüdischen Behörde den Aufenthaltsort preis und wirkt an der Festnahme Jesu mit. In der Begegnung beider klingt tiefe Bedeutung an: Kuss und Anrede sind Zeichen des Verrats, aber zugleich auch messianischer Hinweis. Nach jüdischer Vorstellung stirbt der Gerechte am „Kuss Gottes“. Jesus begrüßt Judas mit den Worten: „Mein Freund!“ (Mt 26,50) – Ausdruck seiner vergebenden Liebe, die auch noch den Verräter umschließt!

Judas nicht einfach als den bösen Verräter zu sehen, ist heute nach dem Schweizer Theologen-Journalisten Christoph Klein unter den Theologen verbreitete Meinung. Die Bibel bezeichnet Judas nur an einer einzigen Stelle als Verräter, bei Lk 6,16 und sonst immer nur als den, der Jesus auslieferte! Die 30 Silberlinge (Mt 26,15) waren in neutestamentlicher Zeit längst keine Währung mehr, sodass eigentlich auch das Motiv der Geldgier fehlt.

So deutet es also vielmehr darauf hin, dass Judas seinen Meister auslieferte, um das Verhör durch die Römer zu erzwingen und Jesus sich dann als der Messias offenbart. Das Motiv des Judas wäre somit das Heil für das erwählte Volk gewesen – und er eigentlich teilweise rehabilitiert!

Als Judas dann aber nach dem Karfreitag die Dimension seiner Tat erkennt, befällt ihn – wie Petrus in der Nacht vorher – verzweifelte Reue. Doch anders als Petrus, der nach bitteren Tränen später eine neue Karriere beginnt, zieht er die tragische Konsequenz. Er stirbt verzweifelt und in Abwendung von der Jesusbewegung durch Suizid (Mt 27,5) oder durch einen grausigen Unfall (Apg 1,18). Aber als Verräter steht er unter den Jüngern nicht allein, Verräter waren sie alle, aus Feigheit! In den ersten Evangelien (außer Johannes) ist noch Zurückhaltung vor dieser Persönlichkeit und seiner Handlung spürbar, erst im späteren Christentum wird er dann zum personifizierten Bösen und reinen Negativgestalt.

Die Ikone „Jesus und der tote Judas“ hat für mich eine ganz tiefe befreiende und österliche Botschaft: „Aus Jesu und Gottes Liebe kann ich eigentlich nie herausfallen!“

 

Sveti Sava Kathedrale – die größte orthodoxe Kirche am Balkan
Bild: Wikipedia

 

Laut einer Kathpress Meldung wurden mit der Vollendung des riesigen (15.000m) Mosaiks Ende Oktober 2020 der Innenausbau dieses Gotteshauses am Belgrader Vracarhügel abgeschlossen, auf dem für die Serben denkwürdigen Ort, denn hier wurden unter Hadscha Sinan Pascha die Reliquien des Nationalheiligen Sveti Sava verbrannt, die dieser aus dem Kloster Mileseva geraubt hatte und dann beim beginnenden Befreiungskrieg 1806 wurden an dem Ort die Türken von den Serben erstmals geschlagen.

Die Kirche bietet mehr als 12.000 Gläubigen Platz, sie wurde 1935 begonnen, der Bau jedoch im April 1941 nach der deutschen Invarsion unterbrochen, auch in der Tito Ära war der Weiterbau nicht möglich. Ab der Jahrtausendwende wurde der Bau intensiv vorangetrieben. Ziel der Fertigstellung war ursprünglich 2013, das 1700 Jahr Gedenken des Mailänder Edikts (Kaiser Konstantin wurde in der Gegend von Nis geboren).

Die Fertigstellung des Baus wurde zu guter Letzt möglich durch Großspenden des russischen Ölkonzerns Gazprom, Putin selber (er erhielt den höchsten Orden der serbisch-orthodoxen Kirche) und des serbischen Staates. Bereits jetzt ist die Kathedrale die meistbesuchte Sehenswürdigkeit Belgrads.

Adalbert Haudum O.Praem